Sternenkind - wenn Liebe alles ist was bleibt

Veröffentlicht am 16. November 2022 um 21:30

Sternenkindmami – wenn die Liebe alles ist, was bleibt

 

Herzlich Willkommen in einer tragischen Erfahrung.

Schön, dass du meinen Text gefunden hast – oder er dich.

Es ist ein Text über meine Erfahrung als Sternenkindmama.

Hier wird eine- meine sehr schmerzhafte Erfahrung erzählt, die mit ganz viel Liebe weiterlebt.

Solltest du selbst ein Trauma durch Fehl- oder Totgeburt erlebt haben, kann ich für die Wirkung meines Textes, keine Verantwortung übernehmen. Es kann sein, dass du getriggert wirst.

Neugierde oder gar Sensationsgier sollte nicht der Antrieb sein, diesen Text zu lesen.

Ich werde emotional sehr ins Detail gehen, weil es mir wichtig ist, Aufklärungsarbeit zu leisten.

Ich möchte meine Stimme nutzen um stellvertretend für all die Frauen zu sprechen, die es nicht können. Die es nicht schaffen, ihr Umfeld darauf aufmerksam zu machen, wie es ihnen geht. Deren Verluste totgeschwiegen werden. Deren Schmerz nur innerlich wüten darf.

Selbstverständlich erlebt jede Frau einen Kindsverlust anders und jede Frau für sich, geht anders mit Ihrem Verlust um.  Wenn meine Erlebnisse allerdings auch nur einer einzigen Frau helfen, besser verstanden zu werden, dann habe ich meine Aufgabe erfüllt.

Dies ist meine Geschichte über die Totgeburt meines Sohnes. Es ist mein Leben. Ich werde nichts beschönigen. Es tut auch über 4 Jahre später, immer noch weh. Nicht mehr täglich, aber es gibt noch Momente in denen ich den Schmerz spüre. In denen ich meinen Sohn schmerzlich vermisse. In denen ich mir wünsche, alles wäre anders verlaufen. Wirklich alles?

Nein, denn ich würde mich jederzeit wieder für diese Schwangerschaft entscheiden! Auch in dem Wissen, wie sie geendet hat…

Im Mai 2018 wurde ich Mama. Mein Kopf hat sehr lange gebraucht zu verstehen, dass ich auch dann Mama bin, wenn ich kein Baby vom Krankenhaus mit nachhause nehmen darf.

Wieso, weshalb, warum ist es passiert? Ganz ehrlich, ist das zu irgendeinem Zeitpunkt unseres Lebens wirklich wichtig, warum „es“ passiert ist? Hätten wir, egal was, verhindern können -wir würden uns diese Fragen nicht stellen. Wir werden Teil einer Statistik, sobald wir unsere Kinder nicht lebendig zur Welt bringen. Es ist hart, es ist traurig, aber es ist auch eine ernüchternde Tatsache.

Die Ursache wird nicht pauschal gesucht, meist mit der Begründung, dass „das“ halt passieren kann. Worte, begleitet von mitfühlend, traurigen Blicken ausgesprochen, einem Streicheln der Schulter und mit gesenktem Kopf den Raum verlassend. Bestenfalls.

Schlimmstenfalls geht es der Frau wie mir und du bekommst bei der Diagnose kein einziges „Tut mir leid“ zu hören, weil der Arzt ein emotionsloser Mensch ist. Ich war wie ich mittlerweile weiß, nicht die einzige Frau die unter der Gefühlskälte von ebendiesem Arzt, gelitten hat. Einige verbale Übergriffe durch ihn wurden mir leider über die Jahre von ein paar Frauen bestätigt. Hilflosigkeit ist das Eine, Empathielosigkeit bei einem Arzt in so einer Situation ist inakzeptabel.

Mit den Jahren die seit der Geburt vergangen sind erfahre ich immer mehr, dass es wichtig ist, darüber zu reden. Dieses Tabu Totgeburt endlich zu brechen. Das hilflose Verstummen rund um uns zu brechen und laut hinauszuschreien: wir sind Mütter!

Ob dein Baby in einem ganz frühen Stadium als Sternchen auf die Welt kam oder kurz vor der Geburt macht für dein Umfeld einen sehr großen Unterschied. Für dich selbst wahrscheinlich nicht.

All die hilflosen Phrasen die wir uns anhören, treffen jedes Mal erneut in unser ohnehin schon sehr derangiertes Herz. Und ja, diese Phrasen kennen wir alle und ich bin es müde, sie hier erneut aufzuzählen. Wenn du selbst ein Sternchen hast, könntest du die hier nicht existente Liste, wohl blind aufsagen.

Was will ich überhaupt? Aufklären und zwar so, wie es mir möglich ist.

Darüber zu schreiben als meinen Bericht, wie ich mich als Sternkindmama fühle. Wie Frau sich fühlt, vor allem dann, wenn sie keine weiteren Kinder bekommt oder bekommen kann. Meinen Mann und meine Familie möchte ich bewusst soweit es möglich ist, aus meiner Erzählung rauslassen. Ihre Gefühle sind ihre persönliche Angelegenheit und die werde ich schützen.

Um ehrlich zu sein, diesen Text zu schreiben geht an mir nicht spurlos vorbei. Es tut weh und zwar besonders die Zeit im Krankenhaus. Die Erinnerung daran, wie intensiv manche Momente waren, berührt mich auch heute noch. Das ist gut und darf sein. Mein Herz zieht sich zusammen und das darf es. Immerhin hat es ein Baby zu betrauern. Auch das darfst du wissen…

Im Laufe der Aufzählung werde ich vielleicht dass ein oder andere Mal ein wenig Sarkastisch sein. Dies bitte ich an dieser Stelle vorab schon zu verzeihen. Mit bissigem Humor erträgt sich manches einfach leichter in meinem Leben.

Ich bin Sternenkindmama. Als Sternenkinder werden liebevoll Babys bezeichnet, die nicht lebend zur Welt kommen. Die Gründe dafür sind so vielfach, wie die Schicksale die dahinterstehen.

Babys die nicht lebend zur Welt kommen, gibt es so wohl so viele, wie Sterne am Himmel.

Ab hier liest du bitte auf eigene Verantwortung weiter.

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Es gibt das ein oder andere Buch über Sternenkinder, wie sie so zärtlich genannt werden.

Als ich im Krankenhaus lag, fiel mir ein, dass Kinder die noch im Mutterleib von uns gehen, so genannt werden.

Diesen Begriff hatte ich irgendwann, irgendwo, aufgeschnappt und sehr schnell wieder vergessen.

Warum auch merken? Ich bin ja nicht betroffen und auch keine meiner Bekannten.

Ja, bis zu diesem Moment im Krankenhaus, bis ich plötzlich nach diesem Wort, dieser Beschreibung, in meinem Hirn kramte.

Es gab einen Grund, warum ich angestrengt und noch von der Narkose beeinträchtigt, danach suchte. Ich war auf einmal betroffen.

Aus heiterem Himmel. Wie so unendlich viele andere Frauen.

 

Ich hielt mein totes Kind im Arm. Ich brauchte ein Wort, das mir Trost schenkt. Totgeburt klingt einfach zu schlimm. Sternenkind, ja, das klingt „schöner“ und vor allem weicher.

Am 8.8.2018 war der ursprünglich errechnete Geburtstermin meines Sohnes. Die vielen Achten stehen wohl im Nachhinein betrachtet, für die Unendlichkeit.

Er hatte noch keinen Namen, aber ich freute mich unendlich darauf, ihn nach stundenlangen, kräftezehrenden Wehen endlich kennenzulernen. Darauf, dass sein Vater an meiner Seite steht, wir uns höllisch streiten weil er mir das angetan hat, er mir den Schweiß von der Stirn wischt und vor Freude weint, wenn er endlich seinen Sohn im Arm hält.

Ich war darauf eingestellt, dass beide Omas ein wenig darüber diskutieren werden, wer denn jetzt als erste das Anrecht haben würde, den kleinen Mann kennenzulernen.

Seine Halbschwestern hatten ihn ohnehin schon ins Herz geschlossen, obwohl er noch sicher in meinem Bauch verpackt war.

 

Am 17.5.2018 brachte ich unfreiwillig, viel zu früh und viel zu tot, meinen Sohn auf die Welt. Ich bekam davon nichts mit.

Ich kämpfte um mein Leben. Um 12:55 wurde er mir entnommen; zur Welt gebracht, ohne je auch nur einmal Luft zu holen, ohne je auch nur einmal zu schreien.

Stille Geburt nennt es sich, wenn ein totes Baby geboren wird. Normalerweise wird diese Geburt eingeleitet. Frau hat Zeit sich darauf vorzubereiten, sich darauf einzustellen und sich dagegen zu wehren, wenn auch in 100% der Abwehr -ohne Erfolg.

 

Mein Mann hatte die Rettung verständigt, weil ich selbst keinen Grund dafür sah. Es ging mir bis auf Kreislaufprobleme und einen steinharten Bauch soweit ganz gut. Ich fand, er  übertreibt. Bis der Kreislauf gar nicht mehr wollte und die Schmerzen einsetzten.

Ich wurde als Notfall wegen drohendem Aborts, von der Rettung abgeholt, vom Notarzt mit einem sogenannten Wehensturm übernommen und ins Krankenhaus St.Pölten gebracht.

Ich wurde kurz und forsch von einem wortkargen und genervt wirkenden Arzt untersucht. Er stellte gelangweilt fest, dass das Herz meines Sohnes nicht mehr schlägt und versuchte den Kinderarzt zu erreichen. Ohne Erfolg. Dann sah er, dass sich meine Plazenta komplett abgelöst hatte. Notsectio war das Wort, dass ich nie mehr aus meinem Kopf bekommen werde.

Der Arzt hielt es nicht für notwendig, auch nur ein Wort direkt an mich zu richten. Erst einer der Pfleger erklärte mir, dass ein Notkaiserschnitt gemacht werden muss.

In dem Wissen, dass mein Baby in der 29. Woche keinen Herzschlag mehr hat und ihm wahrscheinlich nicht rechtzeitig geholfen werden kann, wurde ich in Narkose gelegt. Ich bekam noch mit, wie mir der Katheter gesetzt wurde und der erste Schnitt gesetzt. Er tat nicht mehr weh, aber ich spürte den Druck und sah die Bewegung des Skalpells.

Als ich wach wurde, wusste ich mit einem Schlag ganz genau, was passiert war. Dass mir niemand mein vor Hunger brüllendes Kind in die Hände legt. Mir war bewusst, dass er nicht überlebt hatte.

Mein Mann und meine Mutter waren beide bei mir und taten ihr Bestes, um mich zu trösten. Sie erzählten mir, wie knapp mein Überleben war, aber es war mir ehrlich gesagt, egal. Ich fühlte mich betäubt und innerlich tot.

Die Schwester auf der Aufwachstation versicherte mir, dass ich so schnell als möglich in ein Zimmer kommen soll. Meine Werte waren sehr instabil, wie wohl auch meine ganze psychische Verfassung. Mir wurde erzählt, dass ich Bluttransfusionen bekommen habe und deshalb die Überwachung länger dauern würde. Mittlerweile war es spätnachts.

Die Krankenschwester war so hilflos und überfordert. Sie tat mir leid.

Ich wurde gefragt, ob ich meinen Sohn sehen möchte, sobald ich dann im Zimmer sei. Ich war entsetzt und wie gelähmt.

Ob Sie denn nicht wisse, dass mein Kind tot ist, habe ich Sie gefragt. Daraufhin erklärte Sie mir, dass es wichtig sei, sich vom verstorbenen Kind zu verabschieden, damit der Kopf begreifen kann, was geschehen ist. Ich sträubte mich und lehnte ab. „Die sind doch irre“, war alles, was als Echo in meinem Kopf widerhallte.

Ich wurde ins Zimmer verlegt. Immer noch mit der restlichen Narkose im Körper, einem tauben Herzen und gut gedämpft von den Schmerzmitteln wurde ich nochmal gefragt, ob mir die Hebamme mein Kind bringen soll. Nein verdammt. Lasst mich einfach nur in Ruhe.

 

Die Hebamme die mich betreute war ebenso wie die Schwestern und Pflegerinnen eine wirklich tolle Unterstützung. Soweit es Ihnen möglich war.

Ich stand allerdings so dermaßen unter Schock, dass ich „viel zu normal“ reagiert hatte.

Keine Heulkrämpfe, kein Geschrei, nichts.

Irgendwann knickte ich auf die vielen Nachfragen und Erklärungen über die Wichtigkeit des Kindskontaktes wie es genannt wurde, ein. Ich stimmte zu und hatte wahnsinnige Angst vor diesem Moment.

Mein Mann konnte nicht dabei sein. Ich verstand warum und versicherte ihm, dass ich das alleine schaffe.

 

Eine Hebamme kam ins Zimmer. Sie erklärte mir, dass Sie meinen Sohn gleich bringt. Dass Sie da ist, wenn ich Sie brauche, oder mich alleine lässt. Ganz, wie ich es möchte und, dass ich nur ein Wort sagen brauche, und Sie nimmt ihn wieder mit.

Sie stellte mir ein Körbchen aufs Bett und ich war wie erstarrt. Es dauerte, bis ich mich mutig genug fühlte, ihn anzusehen.

Mein Sohn lag in einem liebevoll hergerichteten Körbchen, eingewickelt in eine Decke mit einer blauen Haube auf, bewacht durch einen kleinen, gehäkelten Stoffteddybären.

Er sah aus, als würde er schlafen und ich hielt die Luft an; Wartete, bis sich sein Brustkorb hebt,…

Er tat es nicht.

In diesem Augenblick zerriss es mir mein Herz.

Dieser Junge der vor mir lag, lebte nicht mehr.

Dieser Junge wird nie lachen, nie weinen, nie Unsinn anstellen, mich nie zur Weißglut bringen, nie tanzen, spielen, träumen

Und als wären die Sekunden eingefroren war mir in ebendiesem Moment auch bewusst: dieser Junge ist mein Sohn.

Durch mein kaputtes Herz ging eine Welle der Liebe, wie ich sie nie für möglich gehalten habe. Diese Wärme die ich spürte, diese innige Verbindung war etwas bis dahin völlig Unbekanntes für mich.

 

Ich war mit ihm alleine und traute mich, ihn aus dem Körbchen zu nehmen. Er war so klein und zart. Ja ihr lest richtig, ich habe mein totes Kind in den Arm genommen. In diesem Moment war er für mich nicht tot. Er war mein Kind, mein Baby. Ich war so stolz auf dieses engelsartige Geschöpf. Er hatte das Kinn seines Papas und er war einfach wunderschön.

Ich wünschte mir so sehr, er würde die Augen aufmachen. Einfach nur um zu sehen, wie sie aussahen. Das Licht der Welt erblicken; in diesem Moment war mir diese Aussage überdeutlich bewusst. Das würde er leider nie.

Der Zeitraum der verging, bis die Hebamme wieder ins Zimmer kommt hat für mich keine zählbaren Minuten. Was ich jedoch sah war, dass die Kühlung nachließ und er sich langsam verfärbte.

Ich bat Sie, ihn mitzunehmen, weil ich den Anblick der unweigerlich der Natur folgen würde, nicht aushalten konnte.

Damals sagte mir leider niemand, dass es zu jedem weiteren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, ihn nochmal zu mir ins Zimmer zu holen; wenn er wieder gekühlt ist. In Amerika werden verstorbene Babys in Kühlwägelchen in die Zimmer der Eltern gebracht, damit diese mehr Zeit mit ihnen verbringen können.

Heute weiß ich, hätte ich Ben nochmal gesehen, ich hätte ihn wohl nicht mehr loslassen können.

 

An dieser Stelle möchte ich zum Durchschnaufen ein paar Formalitäten einwerfen.

Die Standesbeamtin wollte unbedingt den Namen des Kindes, den ich noch nicht wusste. Als ich ihn dann sah, war für mich klar, er heißt Ben. Wie der Sänger Ben Harper oder als Abkürzung für Benedikt – der Gesegnete. Irgendjemand wollte wissen, wie ich mein Kind beerdigen will. Ob Sammelgrab, Einzelgrab, Urne und die Antwort müsse gleich erfolgen. Ich war völlig überrumpelt und der Gedanke, dass er mit anderen Sternchen in einem Grab wäre, erschien mir damals tröstlich.

Es waren viel zu viele Fragen, es waren zu viele Entscheidungen und doch kam am Abend der Arzt und wollte eine weitere Unterschrift von mir.

Diese sei für die Bluttransfusion und ich verstand nicht, warum er die braucht, weil ich die ja während der Operation bekommen hatte. Er erklärte mir, dass ich jetzt gleich noch vier weitere Transfusionen brauche. Immer noch im Schock und im Unverständnis meiner Situation diskutierte ich mit ihm wozu das gut sei und was denn passiert, wenn ich nicht unterschreibe. Seine Antwort war knapp und präzise: dann sterben Sie in den nächsten paar Stunden an Multiorganversagen.

Meine Werte waren bei irgendwo 65/35. Dadurch das ich nicht aufstehen durfte, bekam ich gar nicht mit, wie es um meinen Kreislauf stand. Die Schwester hatte im Lauf des Tages das nervige Piepsen der Maschine neben mir abgestellt. Umso überraschter war ich und der Schreck ging weiter, als ich die Nebenwirkungen erfuhr.

Mit einer Todesangst durch die Aufklärung beobachtete ich, wie der Inhalt des ersten Transfusionsbeutels langsam in Richtung meiner Hand lief. Der Arzt blieb bei mir, wie es der Ablauf verlangt. Das ist wenig tröstlich um ehrlich zu sein. Dieses Prozedere verlangte mir alles an restlicher Substanz ab, die noch irgendwo in mir vorhanden war.

Meine Werte waren am nächsten Tag endlich annähernd stabil und bei der Visite wurde mir dann großmütig erklärt, ich hätte sieben Liter zusätzlicher Flüssigkeit in mir gehabt. Das ist die Lymphflüssigkeit die der Körper produziert, um das Blut in den inneren Organen zu halten.

Übersetzen ließ ich mir das mit: es war wirklich knapp. Schon wieder.

Überleben des Sterbens des eigenen Kindes und dem Tod entrinnen, Teil 2.

 

Hier mache ich vorerst eine Pause, da mich das Schreiben sehr mitnimmt. Ich werde sobald es möglich ist, über die folgende Zeit nach dem Krankenhaus schreiben. 

 


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